Kolumne
Eine neue Ära ist angebrochen. Europa hatte jahrzehntelang die Kritik der USA ignoriert und munter den Wehrwillen ab- und den Sozialkonsum ausgebaut. Nun wurde der seit 1989 geträumte Traum des ewigen Friedens durch den Albtraum der Wehrlosigkeit ersetzt.

Donald Trump hat Europa brutal wachgerüttelt. Und Europa reagiert! Deutschland will hunderte Milliarden Euro in Infrastruktur und Verteidigung investieren. Wenn gleichzeitig Sozialausgaben sowie Bürokratie abgebaut werden und die Bevölkerung mehr arbeitet statt streikt, können sich Deutschland und Europa aus der Depression ziehen. Unter Druck können Völker Enormes leisten. Aufgerüstet wird zudem überall in Europa und die EU-Kommission will 150 Mia. Euro beitragen.
Und die Schweiz? Sie verschliesst vor der Bedrohung weiter die Augen und hofft, dass diese uns nicht erreicht. Das ist fatal. Was brauchen wir:
Erstens sind die Verteidigungsausgaben auf 1% des Bruttoninlandprodukts zu erhöhen und das Sparprogramm des Bundes voll umzusetzen. Das schafft aber noch nicht genügend Spielraum für die Armee. Deshalb braucht es eine auf fünf Jahre befristete Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,9 Prozent. Dieses «Sicherheitsprozent» soll je zur Hälfte für die 13. AHV-Rente und die Armee eingesetzt werden.
Zweitens braucht es dringend eine Lockerung der Exportgesetze für Rüstungsgüter. Wir können zwar nicht alle notwendigen Waffensysteme selbst herstellen. Aber in gewissen Produktbereichen ist die Schweiz dank ihren global führenden Firmen unverzichtbar.
Was hat uns COVID gelehrt? Nachdem Europa die Schweiz während dreier Wochen nicht mit Schutzmasken beliefert hatte, erkannte es seine Abhängigkeit von Schweizer Beatmungsgeräten. Sofort erhielten wir wieder alles. Gleiches ist dank unserer Top-Industrie auch im Verteidigungsbereich möglich. Unverzichtbarkeit ist ein Pfand und der beste Schutz für einen Kleinstaat.
Aber die Politik tut nichts, um die Zerstörung unserer Rüstungsindustrie zu verhindern: 2021 wurde im Rahmen des Gegenvorschlags zur Korrekturinitiative dem Bundesrat verboten, selbst im Ausnahmefall einem in einem Konflikt stehenden Land Waffen zu liefern.
Nun will der Bundesrat die alte Ausnahmebestimmung wieder einführen. Doch das reicht nicht. Zu gross ist der Vertrauensverlust in die Schweiz und zu stark hat sich die geopolitische Lage verändert. Heute wird von einen Angriff Russlands auf ein NATO-Land bis spätestens 2029 ausgegangen. Europäische Länder, welche in der Schweiz Waffen, Munition und Komponenten kaufen, wollen sicher sein, dass sie im Konflikt Nachschub erhalten. Da reicht eine mögliche Ausnahmebewilligung des Bundesrats nicht. Der deutsche Botschafter war kürzlich freundlich, aber unmissverständlich: Berlin will möglichst kein Rüstungsmaterial mehr von der Schweiz kaufen – und kann auch keines mehr an die Schweiz liefern. Ähnliches beabsichtigen auch andere europäische Staaten. Damit ist die Rüstungsindustrie in der Schweiz existenziell bedroht. Das gefährdet unmittelbar unsere Sicherheit, denn ohne eigene Rüstungsindustrie ist die Schweiz wehrlos.
Es gibt einen Ausweg: Die Schweiz muss Länder beliefern dürfen, welche die gleichen internationalen Exportregeln anwenden, auch wenn diese in einem internen oder externen Konflikt sind. In Ausnahmefällen soll der Bundesrat solche Exporte aus aussen-, sicherheits- und neutralitätspolitischen Gründen verbieten dürfen. Kurz: vom heutigen kategorischen «Nein» würden man zum «Ja, aber» wechseln. Weiter ausgeschlossen bleiben Exporte in Länder mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen. Für die gleiche Gruppe von Ländern müsste auch auf die Wiederausfuhrbewilligung verzichtet werden, wenn sie untereinander in der Schweiz gekaufte Waffen weitergeben.
Und die Neutralität? Das Neutralitätsrecht kennt keine Wiederausfuhrbewilligung. Wir können sie problemlos abschaffen. Die Schweizer Neutralität wurde über Jahrhunderte nie dogmatisch, sondern immer pragmatisch interpretiert. Wäre Neutralität in den Weltkriegen dogmatisch interpretiert worden, wären wir kaum verschont geblieben.
Die Industrie steht zur bewaffneten Neutralität der Schweiz. Ein NATO-Beitritt ist kein Thema. Mit obiger Gesetzesanpassung kann unsere sicherheitsrelevante Technologie- und Industriebasis gerettet werden. Das ist eine zwingende Voraussetzung für unsere Sicherheit, Eigenständigkeit und Neutralität.
Von 1990 bis 2025 träumten viele von uns vom ewigen Frieden. Vergessen wurde die zweitausend Jahre alte Weisheit: «Wer Frieden will, bereite sich auf den Krieg vor.» Wachen wir endlich auf und übernehmen Verantwortung!
Zur Person:
Stefan Brupbacher, promovierter Jurist, war Generalsekretär des WBF sowie der FDP Schweiz und sammelte Erfahrungen in verschiedenen Führungspositionen. Seit 2019 ist er Direktor von Swissmem und Vorstandsmitglied von Orgalim, dem europäischen Dachverband der Technologie-Industrien.